"Einer trage des Anderen Last,
so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen."
Gal. 6,2
Die EAB wurde 1882 in einer schweren Zeit gegründet. Soziale Mißstände und unhaltbare Arbeitsbedingungen prägten das Leben der Menschen im Ruhrgebiet. Aber einige suchten einen Weg, diesen Zuständen entgegenzuwirken. Einer von ihnen war der Bergmann Ludwig Fischer aus Gelsenkirchen. Eine Chance sah er in der Solidarität der Arbeiter und deren Familien. Er gründete 1882 in Gelsenkirchen-Schalke den ersten Evangelischen Arbeiterverein. Damit setzte er eine Bewegung in Gang, welche in kürzester Zeit weitere Vereine entstehen ließ. Heute sind unsere Aufgaben nicht leichter geworden. In einer sich verändernden, globalen Gesellschaft stehen wir komplexen Problemen gegenüber, denen wir mit vielfältigen Aktivitäten begegnen. Aber eines hat sich nicht geändert:
Quelle: Broschüre "EAB - solidarisch bei den Menschen - "
EAB Landesverband NRW e.V.
Sie begann mit einem Kompromiß.
Seit dem Jahre 1905 gab es in unserer Kirchengemeinde einen Evangelischen Bü;rgerverein.
In diesem war "man" Mitglied, wenn man etwas auf sich hielt. Die Mitglieder dieses
Vereins waren entsprechend der Bevö;lkerungsstruktur Bauern, Geschäftsleute und
Handwerksmeister.
Zu Beginn der zwanziger Jahre gab es erste Bestrebungen, in der Kirchengemeinde Hiesfeld einen evangelischen Arbeiterverein zu gründen. Die treibenden Kräfte waren Arbeiter des Dinslakener Bandeisenwalzwerks, die in unserer Gemeinde wohnten. Sie wurden unterstützt durch Arbeiter der Schachtanlage Lohberg. Das Gebiet der heutigen evangelischen Kirchengemeinde Lohberg - einschließlich des Zechengeländes - gehörte damals noch als Pfarrbezirk zur Kirchengemeinde Hiesfeld.
Mit dem Gedanken an einen evangelischen Arbeiterverein mochte sich der bürgerlich-monarchistisch geprägte Pfarrer Diederichs nicht anfreunden. Die Männer jedoch ließen nicht locker und trugen ihr Anliegen immer wieder vor; und nicht nur bei Pfarrer Diederichs. Nach der mündlichen Überlieferung durch Friedrich Föcking (einem der Initiatoren) machte schließlich der Evangelische Bürgerverein einen Kompromißvorschlag, der auch die Zustimmung von Pfarrer Diederichs fand. Den Arbeitern wurde angeboten, in den Evangelischen Bürgerverein einzutreten; mit allen Pflichten, aber auch mit allen Rechten und Möglichkeiten der Mitgestaltung und Mitarbeit. Auch rein äußerlich wollte man diesen Kompromiß durch eine Namensänderung zum Ausdruck bringen. Im Jahre 1925 kam die Einigung zustande und man gab dem Verein den Namen "Evangelischer Volksverein Hiesfeld". Zunächst war der Verein jedoch kein Mitglied der Evangelischen Arbeiterbewegung.
Diese Lösung entsprach weniger einem christlichen Denken und Handeln als vielmehr der
Sorge, es anderenfalls mit den leitenden Herren der Zeche Lohberg, vor allem aber mit
Julius Kalle - dem Direktor des Dinslakener Walzwerks - zu verderben.
Aufgrund seines Vertrauensverhältnisses zu dem Großindustriellen Fritz Thyssen besaß
Julius Kalle weitreichende Vollmachten. Kalle war aber auch um ein gutes Verhältnis zu
seinen Arbeitern bemüht und hatte für ihre Sorgen und Nöte großes Verständnis.
Entsprechend war auch der Grad seiner Beliebtheit, deren er sich erfreute.
Fritz Thyssen hatte wiederum ein Klima geschaffen, in dem für die uml;iegenden
Kirchengemeinden viel getan werden konnte. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch, oder unter
seiner wohlwollenden Duldung, erhielten in jener Zeit zahlreiche Kirchen neue
Glockenstühle, elektrische Läutemaschinen, man half bei der Restauration oder dem Umbau
von Orgeln, beim Neubau von Gemeindehäusern und vielen anderen Dingen. Dabei spielten die
örtlichen Werksdirektoren, wie z.B. Julius Kalle, eine maßgebliche Rolle.
In der Vollversammlung am 14. Juni 1925 wurde die gemeinsame neue Satzung beschlossen und
ein Vorstand gewählt. Hier die Namen:
Nach den geführten Aufzeichnungen gehörten sowohl diakonische Aufgaben, als auch der Zusammenschluß evangelischer Männer - im Zeichen eines gespannten Verhältnisses zur römisch-katholischen Kirche - zu den wesentlichen Zielen des Vereins.
Weiterhin wurde die Einrichtung einer Sterbekasse beschlossen. Außerdem einigte man sich
darauf, daß den Mitgliedern des Bürgervereins die Jahre ihrer Mitgliedschaft auf die
Mitgliedschaft im Evangelischen Volksverein angerechnet werden.
Die vorliegenden Aufzeichnungen berichten über zahlreiche Aktivitäten im Bereich der
politischen Bildung; doch auch von fröhlichen und geselligen Festen ist die Rede.
Auch das Bemühen um den sozialen Ausgleich zwischen den Ständen und Bevölkerungsschichten
nimmt in der Berichterstattung breiten Raum ein.
Am 31. Oktober 1926 beschlossen die Mitglieder die Anschaffung einer Vereinsfahne.
Der Jahresbericht für das Jahr 1926 spricht von 341 Mitgliedern.
Zu einem großen Festtag für ganz Hiesfeld wurde der Tag der Fahnenweihe, Sonntag, der
12. Juni 1927.
Der Bericht spricht von weit über tausend Teilnehmern, von einem großen Festzug durch das
geschmückte Hiesfeld, von zahlreichen Musikkapellen und von zahlreichen Gästen,
Ehrengästen und Brudervereinen (von Mülheim bis Isselburg). Gefeiert werden mußte in zwei
Sälen, um allen Teilnehmern Platz zu bieten. Pfarrer Diederichs hielt die Festpredigt
"im Stadion", während die Fahnenweihe durch Pfarrer Schmidt (Lohberg) vorgenommen
wurde.
Im Jahre 1928 wird die eigene Jugendorganisation "Jugendbund" zum ersten Mal erwähnt. In
dem gleichen Bericht werden 54 Neuaufnahmen verzeichnet. Dabei ist zu bedenken, daß es
sich um wirtschaftlich schlechte Zeiten handelte.
In jedem Monat wird eine Veranstaltung durchgeführt. Die Stärke der Jugendgruppe wird mit
45 beziffert. Die Chronik spricht von einem eigenen Streichorchester der
Jugendgruppe.
Zu Beginn des Jahres 1930 zählt der Verein 405 Mitglieder. Auch die Not vieler Mitglieder
als Folge der Arbeitslosigkeit wird nicht verschwiegen. Acht Veranstaltungen mit
prominenten Referenten zu hoch aktuellen Themen sind vermerkt.
Zu Weihnachten 1931 stellte der Verein 400 RM zur Unterstützung notleidender Mitglieder
zur Verfügung. Dafür wurden Gutscheine zum Kauf von Lebensmitteln ausgegeben.
Am 6. März 1932 fand die Jahreshauptversammlung des Bezirksverbandes Oberhausen der
Evangelischen Arbeiterbewegung statt. Ausrichter ist der Evangelische Volksverein
Hiesfeld.
Eine Mitgliederversammlung im Dezember 1932 bewilligt einen Betrag von 500 RM, um damit
125 notleidende Familien zu unterstützen. Jede dieser Familien erhält einen
Lebensmittelgutschein zu 4,-- RM.
In dieser Zeit ist auch zum ersten Mal von Veröffentlichungen in der
nationalsozialistischen Presse die Rede. Der Vorstand hat hierauf die Vertrauensfrage
gestellt und wird - bis auf eine Gegenstimme - in seinem Amt bestätigt. Vorsitzender ist
inzwischen Konrektor Liesen.
In den Aufzeichnungen vom 6. August 1933 ist zum ersten Mal nicht mehr vom Vorsitzenden
sondern vom "stellvertretenden Führer Bruhs" die Rede. Im Oktober 1933 übernehmen neue
Leute die Leitung des Evanglischen Volksvereins. Im Berichtsbuch fehlen offenbar mehrere
Seiten. Andere Seiten sind losgetrennt. Der Vorstand heißt numehr "Führerrat".
Am 8. April 1934 wird den versammelten Mitgliedern erklärt, daß diese Versammlung "die
letzte Versammlung des Evangelischen Volksvereins sei". Im Rahmen der "Gleichschaltung"
der Kirche wird der Volksverein zwangsweise in das Männerwerk überführt. Pfarrer Schmidt
wird hier zugleich als Ortsgruppenleiter des Männerwerks bezeichnet. Der wesentliche
Unterschied zum Männerwerk bestand darin, daß es hier keine Vereinsform gab; die
Verantwortlichen wurden nicht von den Mitgliederversammlungen gewählt, sondern "von oben
eingesetzt".
Die Mitglieder zogen sich schweigend von dieser Neuschöpfung zurück. Alle Aktivitäten
brachen zusammen.
Über die Folgezeit liegen nur dürftige Aufzeichnungen ohne Unterschriften vor. Hier finden
sich gelegentlich Klagen über schlechten Veranstaltungsbesuch. Immer wieder wird über
Vortragsveranstaltungen berichtet, die die Aufgaben und Ziele des evangelischen
Männerwerks zum Gegenstand hatten, doch die Hiesfelder kamen offenbar nicht.
Ein erster zaghafter Neubeginn der Arbeit des Evangelischen Volksvereins ist für den
1. Juli 1945 verzeichnet. Hierbei handelt es sich um eine Vertrauensleutesitzung.
Den ersten wirklichen Impuls gab die Jahreshauptversammlung am 10. Februar 1946.
Konrektor Liesen und Heinrich Bruhs, die ihre Ämter unter dem Druck
nationalsozialistischer Machenschaften (auch im Zusammenhang mit Pfarrer Schmidt) 1931
aufgeben mußten, wurden wieder in ihre früheren Ämter als Vorsitzender bzw.
Stellvertreter eingesetzt. Zunächst sammelte man, um die Wiederherstellungskosten für die
durch Kriegseinwirkung stark beschädigte Dorfkirche aufzubringen.
Am 9. Februar 1947 übernahm Pfarrer Kickhefel den Vorsitz. Ihm folgte im Jahre 1952
Friedrich Metz.
Die Mitgliederversammlung vom 29.11.1953 beschließt einstimmig den Beitritt zum
Landesverband der Evangelischen Arbeiterbewegung e.V. und zur Verbandssterbekasse. Dieser
Schritt wurde zum 1. Januar 1954 wirksam. Neuer Vorsitzender des Volksvereins ist
Alfred Ressing. Es werden wieder zahlreiche Aktivitäten im Bereich der Erwachsenenbildung
(sowohl im Bereich der Politik, als auch in der Sozialpolitik) verzeichnet. Im Laufe der
folgenden Jahre übernehmen zahlreiche Vereinsmitglieder Dienste als Presbyter, als
Betriebsräte, sowie als Arbeits- und Solzialrichter.
Auch in der Vertreterversammlung der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz ist ein
Vereinsmitglied tätig.
Im März 1962 übernimmt Kurt Kampen den Vereinsvorsitz. In verstärktem Maße werden auch
Filme und Ton-Diaserien bei der Veranstaltungsarbeit eingesetzt.
Langsam vollzieht sich in der Bildungsarbeit des Evangelischen Volksvereins ein Wandel
(teils mit, teils ohne Wissen des Landesverbandes der EAB). Man sieht die
Vereinsmitglieder nicht mehr nur als Männer in der Kirche, sondern mehr noch als
Familienväter, konfrontiert mit Familein- und Schulproblemen, mit Erziehungsfragen, mit
Wohnungsproblemen, mit Berufs- und Arbeitsplatzfragen. Nicht zu verschweigen sind
vielfältige Aufgaben in Kiche und Gesellschaft. Aus dieser Tatsache wächst die
Erkenntnis, daß eine wesentliche Verbreiterung der Bildungsarbeit unter Einbeziehung der
Familie erforderlich ist. Im Zuge dieser Enwicklung wird 1965 die erste Familienfreizeit
durchgeführt, und zwar in Renesse/Holland. Damals betrat man Neuland. Freizeitleiter war
Pfarrer Johannes Haverkamp.
Altenfreizeiten werden jedoch in Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk des
Kirchenkreises Dinslaken durchgeführt.
Kurt Kampen zieht aus beruflichen Gründen aus Hiesfeld weg. Sein Nachfolger wird Rudolf
Schill.
Im Jahre 1970 übernimmt Reinhard Muthmann den Vereinsvorsitz. Dank einer großen
Bereitschaft zur Mitarbeit im Vorstand können zahlreiche neue Aktivitäten begonnen werden,
z.B. Dia-Serie "Hiesfeld, gestern und heute", Vortagsveranstaltungen zu aktuellen Themen
wie "Erbrecht" oder "Der ältere Mensch". 1972 werden wieder Familienfreizeiten
durchgeführt. Wir verzeichnen mit dankbarer Freude, daß hier bis heute keine
Unterbrechung eingetreten ist.
Auch wird mit den Nachmittagsrundfahrten unter dem Titel "Kennen Sie den Niederrhein?"
begonnen. Mit einjähriger Verspätung wird im Jahre 1976 das 50-jährige Bestehen des
Volksvereins festlich begangen. Sowohl die KAB Oberlohberg und Hiesfeld, als auch
zahlreiche Brudervereine aus der Umgebung waren durch Abordnungen vertreten.
Inzwischen geht der Vorstand dazu über, gesellschaftliche Probleme in mehrteiligen
Veranstaltungen zu behandeln und mit kompetenten Fachleuten zu diskutieren.
Das Ergebnis dieser Veranstaltungsreihe führte sogar zu einer eindringlich formulierten
Eingabe an den Landesverband der EAB. Hingewiesen sei auf die vierteilige
Veranstaltungsreihe zum Thema Arbeitslosigkeit: "Was wird aus unserer Arbeitswelt - was
aus den Menschen?". Allerdings müssen im Rahmen dieser Zusammenfassung zahlreiche
Einzelveranstaltungen unerwähnt bleiben. Daß unsere Kirchengemeinde auf die Mitarbeit
unseres Vereins zählen kann, ist inzwischen bei verschiedenen Anlässen (Gemeindefesten
und dergl.) mehrfach bewiesen.
Auch künftig wird es zu den wichtigsten Aufgaben des Evangelischen Volksvereins gehören,
mitzuhelfen am Bau einer lebendigen Gemeinde; einer Gemeinde, die Jesus Christus als den
lebendigen Herrn der Kirche bezeugt und das Lob Gottes verbreitet.
"Alles was ihr tut, mit Worten, oder mit Werken, das tut alles in dem Namen Jesu und danket Gott und dem Vater durch ihn".
Autor: Reinhard Muthmann
Quelle: 400 Jahre evang. Kirchengemeinde Hiesfeld 1585 - 1985
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